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Nachhaltigkeit kommt: Die Kultur wacht auf

Kolumne

Von Walter Spruck

Im Museumskaffee gibt es den Coffee-to-Go im Einwegbecher mit Plastikrührlöffel, Kinobesucher knabbern in Palmöl frittierte Nachos und im Theater laufen die Kühlschränke rund um die Uhr, nur um das Sprudelwasser für die 15-minütige Spielpause zu kühlen. Auf der Leinwand dagegen sehen wir engagierte Dokus über die Verschmutzung der Weltmeere, auf der Bühne kämpft bereits das Kindertheater für die Umwelt und kaum ein Museumsgänger könnte in seinem Gesinnungshaushalt auf ein klares Bekenntnis zur Nachhaltigkeit verzichten. Wie lassen sich diese Widersprüche erklären? Schließlich schaut man bei Fast-Food-Ketten, Hotels oder neuerdings sogar Szene-Cafés genau hin.

Kann sich ausgerechnet die Kultur alles erlauben? Oder stecken Kunst- und Kulturbetriebe mitsamt Publikum in einem „nachhaltigen“ Wachschlaf? Gewiss sind die Beobachtungen nicht allgemeingültig, aber Beispiele findet jeder Städter fußläufig. Natürlich haben viele Häuser zu einzelnen Themen (immer mal wieder) etwas gemacht und sogar investiert. Mal hier, mal da. Im Einzelnen können sich Ergebnisse oft sehen lassen. Irgendwo gibt es in den Einrichtungen aber immer eine praktische oder ökonomische Grenze. Wer dort nach einer Nachhaltigkeitsstrategie oder gar einem Nachhaltigkeitsbeauftragten fragt, hat fast überall das Überraschungsmoment für sich. Was im Alltag längst „Common Sense“ ist, dass sich komplexe Probleme wie die Plastikverschmutzung nur ganzheitlich lösen lassen, findet nicht ausreichend Eingang in die Praxis bei Institutionen. Woran liegt das?

Wer sich das Fundament der Nachhaltigkeitsdebatte anschaut, stößt auf erstaunliche Leerstellen. Der Rat für Nachhaltige Entwicklung, zentrale Instanz der Bunderegierung und in Fachkreisen überaus anerkannt, lässt die Kultur – mit Hinweis auf die föderale Länderhoheit – weitgehend außen vor. Auch die renommierte Deutsche Umwelthilfe, erfolgreicher Gegenspieler prominenter Müllverursacher, hat den Bereich (noch) nicht oben auf der Prioritäten-Liste. Förderinstrumente gibt es nicht ausreichend, viele greifen nicht – und manche greifen sogar ordentlich vorbei, wenn es um echte Umsetzung und konkrete Maßnahmen geht. Der Status Quo ist, dass der Impuls für Nachhaltigkeit im Moment nicht von oben, sondern von unten kommt: von engagierten Kino-, Theater- Museums- oder Festivalmachern sowie von fachspezifischen Institutionen, innovativen Start-Ups und verantwortungsbewussten Einzelpersonen. Das muss kein Nachteil sein, denn schließlich muss jemand vorangehen!

Kunst und Kultur als Vorreiter

Unsere feste Überzeugung ist, dass Kunst und Kultur doppelt gefordert sind:

  1. Kunst- und Kultureinrichtungen als Vorreiter: Museen, Veranstaltungshäuser und Kinos stehen in einer besonderen Verantwortung, um Nachhaltigkeit zu erleben und „vorzuleben“. Sie sollen sich an den höchsten Standards orientieren und eine Vorbildfunktion übernehmen. Wenn ein Museum mit Mindeststandards durchkommt, warum sollte ein Discounter oder eine Fastfood-Kette es besser machen müssen?
  2. Kunst und Kultur als Mittler: Kultur und Kunst verbinden und durchdringen auf einzigartige Weise alle Lebensbereiche wie Wirtschaft, Politik und Medien. Kunstwerke können unmittelbar Probleme aufzeigen und zum Handeln motivieren. Viele Künstler sind mit ihrer Arbeit bereits im Thema, ihre Werke sollten einer möglichst breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

Nachhaltigkeit braucht eine Strategie
Lösungen für viele Probleme kommen nicht alleine durch Angebot und Nachfrage zustande. Mehrwegkreisläufe oder Ökobilanzierungen zeigen, wie komplex es beispielweise im Themenkreis Wertstoffe-Abfall-Logistik-Recycling-Kompostierbarkeit zugeht. Aus unserer Sicht ist Nachhaltigkeit kein Flickenteppich von Problemen und Lösungen, sondern das Ziel einer mehrstufigen, thematisch geordneten und interdisziplinären Nachhaltigkeitsstrategie für unsere Gesellschaft. Abgeleitete Strategien gilt es für Kunst und Kultur zu erarbeiten. Individuell angepasste Strategien werden für einzelne Sparten und Branchen benötigt. Und eine auf eigene Gegebenheiten spezifizierte Strategie braucht jede Einrichtung für sich.

Wie „nachhaltig“ ist unser Haus?
Jedes Nachhaltigkeitsprojekt sollte mit einer qualitativen und quantitativen Analyse des Status Quo auf Strategieebene beginnen. Wer kümmert sich um Nachhaltigkeit? Welche Anforderungen sind das Ziel? Welche Potenziale können genutzt werden? Wie lassen sich Entwicklungen messen? Welche Einzelmaßnahmen sind sinnvoll? Gibt es einen strukturierten Austausch über Best-Practice? Diese Fragen stehen bei Entscheidern in allen Sparten des Kulturbetriebes auf der Agenda. Denn: Nachhaltigkeit wird immer stärker zum Thema staatlicher Regulierungen und eine zentrale Forderung des Publikums, die vor Kunst- und Kulturbetrieben gewiss nicht haltmachen wird. Daher sind Kunst und Kultur gefordert, sich dem gesellschaftlichen Aufbruch für mehr Nachhaltigkeit anzuschließen.

ÜBER DEN AUTOR

Walter Spruck ist Leiter des Instituts für Nachhaltigkeit in Kultur- und Tourismus und Leiter des Netzwerks Nachhaltigkeit in Kunst und Kultur (2N2K). Als Berater ist er unter anderem für die Cineplex-Kinogruppe, die Documenta sowie sozio-kulturelle Zentren tätig. Einen kostenlosen, unverbindlichen Test für eine Selbsteinschätzung bietet das Institut für Nachhaltigkeit auf seiner Internetseite an. www.kultur-und-nachhaltigkeit.de/